Kantatengottesdienst

am Sonntag Sexagesimae, 8. Februar 2015

an der Heiliggeist-Kirche Heidelberg,

 

„Leichtgesinnte Flattergeister“,

von Johann Sebastian Bach, BWV 181

 

Predigt

von Dekanin Dr. Marlene Schwöbel-Hug

zum Thema "Sämann"

 

Liebe Gemeinde,

Wir leben in einer säkularen und gleichzeitig in einer multireligiösen Zeit. Selten wurde in Talkshows, auf der Straße, in vertrauten Runden und in der Politik so angeregt, beunruhigt und engagiert über Glauben gesprochen wie momentan. Welchen Stellenwert hat Glaube in unserer Gesellschaft. Wie und wo soll er weiter gegeben werden oder gelehrt werden? Soll der Religionsunterricht an Schulen zur Disposition stehen? Ist es richtig, ganz strikt zwischen Staat und Religion zu trennen, so wie in Frankreich? Wie verhalten wir uns zu Gottesstaaten? Wo gibt es eine gut ausgewogene Balance? Wie ist das Verhältnis der Religionen untereinander? Fragen über Fragen.

In Zeiten von Pegida wird die Sorge vor Überfremdung auf die Religion übertragen. Es werden Ängste geschürt nicht nur vor Fremden, sondern auch vor Fremdem, besonders vor Islamisierung. Angstmache fällt leider oft auf guten Boden. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Pauschale und oberflächige Urteile werden gesprochen und gefällt. Angst vor einem Glauben, den man eigentlich gar nicht richtig kennt, wird zur Angst vor allem, was fremd ist, sei es fremdes Aussehen, fremde Kultur oder fremde Sprache. Glaube, was ist das, und wie kommen Menschen dazu, sich als Gläubige einer Religion zu outen oder zu bekennen?

Worum geht es dem Glauben? Glaube kann fanatisch werden, kann in puren Machtwillen umkippen. Das wird bei der IS nur allzu deutlich, übrigens sehen das auch für viele, viele Muslime so. Glaube, so sagen es 120 islamische Gelehrte aus aller Welt, soll als Orientierungshilfe für ein gutes Miteinander gelten, für Barmherzigkeit, für ein mutiges Leben und ein frei bestimmtes Leben.

Wie kommen Menschen dazu, zu glauben? Das Gleichnis vom Sämann versucht diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Wie wird Glaube gesät? Mit diesem Thema beschäftigt sich Johann Sebastian Bach musikalisch in seiner Kantate „Leichtgesinnte Flattergeister“  in Anlehnung an das Gleichnis aus der Bibel,. Der Titel ist schön, scheint zur Karnevalszeit, zu den tollen Tagen, deren Höhepunkt wir uns in der kommenden Woche nähern, gut zu passen. Aber beim genaueren Lesen und Hören der Kantate wird deutlich, dass es sich hier nicht um eine Faschingskantate handelt. „Flattergeister“ sind nicht positiv, leicht und witzig besetzt, sondern Flattergeister bei Bach sind oberflächlich, nicht festlegbar, unverbindlich, halt flatterhaft.

Der Librettist der Kantate, dessen Namen wir nicht kennen, hat in Zusammenarbeit mit Bach eine Interpretation des Gleichnisses gefunden, die in manchen Punkten sehr zeitbezogen, in anderen aber auch zeitlos ist.

 Der Same ist das Wort Gottes. Wer allerdings der Sämann ist bleibt offen. Ich könnte mir vorstellen, dass es all die sind, die vom Glauben erzählen, die ihn weitergeben. Jesus und seine Jünger ebenso, wie heute Musiker, Lehrer, PfarrerInnen, Eltern, Großeltern etc. Der Glaube wird als Wort weitergegeben, aber auch durch Taten. Das kommt übrigens in Bachs Interpretation nicht vor. Der Same kann für einige Menschen durch die diakonische Arbeit der Kirchen aufgehen, für andere eher durch Predigten, Glaubenskurse, das Lesen der biblischen Texte.

Der Sämann geht auf das Feld und sät den Samen aus. Der Landwirt ging aufs Feld und warf mit der Hand das Saatgut auf den Acker. Klar, manches fiel dabei auf den Weg, manches auf Steine, manches unter Disteln und anderes auf den guten Ackerboden. Nun kommt Bachs Interpretation: die Vögel, die beim Aussäen immer um den Landwirt herumflattern, stürzen sich auf den Samen, der auf den Weg fällt. Sie picken die Körner hastig auf. Die Vögel sind in der Kantate die Menschen, die ganz schnell ganz begeistert sind vom Glauben. Sie nehmen ihn auf, freuen sich darüber, engagieren sich vielleicht sogar in der Gemeinde, erzählen viel von ihrem Glauben. Aber dann, so die Kantate, kommt der Teufel und sät Zweifel und Fragen, Langeweile und Erschöpfung. So schnell der Glaube aufgenommen wurde, wird er auch wieder fallen gelassen. Flatterhaft hatten sich die Vögel, die Menschen, auf die Botschaft gestürzt, aber ebenso flatterhaft wenden sie sich etwas anderem zu. Diese Flatterhaftigkeit ist das Werk des Teufels, der keine Verbindlichkeit und keine Tiefe zulassen will. Er gibt Gedanken und Worte ein, die lauten: „Das ist alles zu schwierig, das ist alles nicht leicht genug, da bin ich ja gefordert, da muss ich Verantwortung übernehmen, und das will ich nicht.“ Wir heute würden im Christentum nicht mehr unbedingt mit dem Bild des Teufels argumentieren, sehr wohl aber mit dem, was es bedeutet, keine Tiefe zulassen zu wollen. Damit ist Oberflächlichkeit gemeint, das Fehlen von Verbindlichkeit, das Hüpfen von einem Hipe zum anderen.

 Der Same im Gleichnis fällt aber nicht nur auf den Weg, sondern auch auf Steine. Dort kann er durch die lockere Krume auf den Steinen ganz schnell aufgehen, hat aber dann keine Möglichkeit Haftung und Tiefe zu bekommen. Ähnlich wie beim Bild des Weges lebt Glaube kurz auf, schießt nach oben, aber im Alltag verdorren die Wurzeln. Bach spricht davon, dass es die steinernen Herzen sind, die keine  Wurzeln ausbilden können und wollen. Spannend ist der Nachsatz, dass all diese Felsen, die das Wachsen des Glaubens verhindern, durch die Botschaft der Auferstehung zerspringen, dass der Engel auch den größten Stein, wie in der Ostergeschichte, beiseite räumen kann und wird. Schwingt hier Hoffnung und Zuversicht auf oder geht es eher um so etwas wie eine Drohung? Ich weiß es nicht, möchte aber gern die Zuversicht ins Zentrum setzen: Auch die härtesten Steine, Felsen, Herzen, können durch die Botschaft vom Leben, Freiheit und Geborgenheit Brüche bekommen und in diesen Rissen kann der Same wieder wachsen. Da kann ein Herz sich einfach nicht verhärten, meint Bach.

Glaube wird aber oftmals auch erstickt durch Raffsucht und Egoismus. Das sind in der Kantate und in der Geschichte die „Disteln“, die dem Glauben den Atem nehmen. Der Mensch ist nur auf sich bezogen. Es geht ihm nur um das leibliche Wohl und die Spiritualität wird vergessen.

Was mir bei der Bachschen Interpretation fehlt, ist das Ernstnehmen der Disteln, die Krankheit, Tod, Trauer oder Krieg heißen. Menschen können den Glauben verlieren, zeitweise oder für immer durch schlimme Erfahrungen. Ihr kindlich vertrautes Bild vom lieben Gott, der alles gut werden lässt, bekommt Risse. Das ist gelegentlich so. Und das müssen wir als Christen auch wahrnehmen und uns anhören. Es gibt Zeiten, in denen wir das Wort Gottes nicht für uns annehmen können, es gibt Zeiten, in denen wir Gottes Wege und Gedanken nicht verstehen. Das müssen wir auch offen sagen. Wir können nicht alles erklären. In solchen Anfechtungszeiten den Glauben nicht zu verlieren, ist Gnade. Es kostet sehr viel Kraft und sehr viel Tiefe. „Disteln“ in seinem Glaubensleben kennt fast jeder Glaubende. Dann braucht es den Austausch mit anderen Menschen, die Christen sind, die zuhören, die selbst ein weiches und barmherziges Herz haben. Diese seelsorgerliche Seite fehlt mir in der Interpretation der Kantate.

Glaube ist nicht leicht. Es braucht heute Mut, Christ zu sein, einen Glauben zu vertreten, der Menschlichkeit ins Zentrum stellt, der Menschenwürde beachtet wissen will, der sich keine Angst einjagen lässt, der sich einsetzt für Mensch und Natur. Wer das durchhält oder sich immer wieder neu daran erinnern lässt, bei dem ist der Same auf gutes Land gefallen.

Meine eigene Interpretation dieser Geschichte, Sie spüren es,  ist etwas anders als die von Bach. Ich denke, dass unser Leben als Christ insgesamt ein vierfacher Acker ist. Es gibt Zeiten, in denen der Glaube mal an den Wegesrand fällt, mal auf Stein stößt, mal droht, von Disteln erdrückt zu werden und dann gibt es die wunderbaren Zeiten, wo er auf gutes Land fällt, mit Tiefe, mit wunderbarer Wärme, mit dem Gefühl, hier ist Leben und Lebendigkeit.

Dafür können wir nur immer wieder beten, dass Gott unsere Herzen für sein Wort öffnet und es aufnahmebereit und weich macht.

Das ist Glaube, christlicher Glaube. Er nimmt Menschen in und mit ihren Sorgen ernst und verhärtet nicht. Das ist christlicher Glaube, der barmherzig ist.

Er ist ein Glaube, der durchs Wort lebt und sich immer wieder auf das Wort Jesu bezieht. Er ist ein Glaube, der Weite zulässt und Menschen ernst nimmt in allen Religionen, wenn sie Menschlichkeit und Würde predigen. Hier ist die Grenze, die keine Religion überspringen darf, weder der Islam, noch das Christentum, noch andere Religionen. Glaube will eine Orientierung zu einem freien und frohen Leben geben.

Amen